Hier finden Sie Konzertmitschnitte der vergangenen Jahre zum Nachhören, Neuhören und Genießen.
Aber auch Konzertkritiken zum Nachlesen, aktuellen Interviews und Werkeinführüngen.

  

6. Sinfoniekonzert 11/12

 

Dienstag - 22.05.2012
Philharmonisches Orchester Freiburg

Solist
Denis Zhdanov (Violoncello)
Dirigent Simon Gaudenz

Eine Werkeinführung von
Konzertdramaturgin Helga Maria Craubner

 

Der Staub des Kolophoniums
(Georg Rudiger // Badische Zeitung)

 

 

Simon Gaudenz

„Man möchte die Menschen
noch stärker als sonst erreichen…“ 

Simon Gaudenz // Foto: Lucia Hunziker

Der Dirigent Simon Gaudenz stammt aus Basel und hat unter anderem an der Musikhochschule Freiburg studiert. Heute ist er gefragter Gastdirigent und Generalmusikdirektor der Jenaer Philharmonie. Er machte sich in den letzten Jahren besonders als Interpret des klassischen Repertoires einen Namen. Eine frische, unverbrauchte Herangehensweise vor dem Hintergrund der historisch informierten Aufführungspraxis charakterisieren seine Konzerte und Einspielungen. Mit dieser Auffassung prägt und gestaltet er mittlerweile in seiner achten Saison das musikalische Profil traditionsreichen Kammerorchesters Hamburger Camerata. Mit diesem Konzert gab er 2012 sein Freiburger Debüt.



Simon Gaudenz im Gespräch
mit der Konzertdramaturgin Helga Maria Craubner


Mehr über Simon Gaudenz
finden Sie unter
www.simongaudenz.com

 

 

PROGRAMM

 

Zoltán Kodály (1882-1967)

Tänze aus Galánta (1933)

Lento/Andante maestoso – Allegretto moderato – Tempo I (Andante maestoso) – Allegro con moto, grazioso –Tempo I – Allegro – Poco meno mosso – Allegro vivace –Tempo I – Allegro molto vivace

Aram Chatschaturjan (1903–1978)

Konzert-Rhapsodie für Violoncello und Orchester d-Moll (1963)

Dmitri Schostakowitsch (1906-1975)

Sinfonie Nr. 9 Es-Dur op. 70 (1945)

Allegro
Moderato
Presto
Largo
Allegretto

 

 

HIER GEHT ES ZU DEN
VORANGEGANGENEN KONZERTEN.

Mit freundlicher Unterstützung des SWR.

   

Zoltán Kodály (1882-1967)

Tänze aus Galánta
(1933)

 

Zoltán Kodály (1882-1967)

Tänze aus Galánta (1933)

Lento/Andante maestoso – Allegretto moderato – Tempo I (Andante maestoso) – Allegro con moto, grazioso –Tempo I – Allegro – Poco meno mosso – Allegro vivace –Tempo I – Allegro molto vivace

 

 

 

 

Kodály Zoltán in den 1930er Jahren

 

Zoltán Kodály sammelte und katalogisierte über 3.500 ungarische Volkslieder. Zusammen mit seinem Kompositionskollegen Béla Bartók war er der bedeutendste Forscher der musikalischen Volkskultur Ungarns. Als Sohn eines Bahnangestellten in verschiedenen kleinen Ortschaften auf dem Land aufgewachsen, kam Kodály früh in Kontakt mit der traditionellen Musik seines Landes. Parallel zu seinem Kompositionsstudium in Budapest studierte er auch ungarische und deutsche Literatur und Sprachwissenschaft und promovierte mit einer Arbeit zum „Strophenbau im ungarischen Volkslied“. Als Pädagoge war es Kodály ein grosses Anliegen, Kinder so früh wie möglich mit Musik in Kontakt zu bringen: „Unterrichtet Musik und Singen in der Schule so, dass es keine Qual, sondern eine Freude für den Schüler ist; flößt ihm den Durst auf gute Musik ein, ein Durst, der ein Leben lang anhalten wird.“ Und: „Es ist wichtiger, wer in einem Dorf Gesangslehrer ist, als wer Operndirektor.“ Kodálys Leidenschaft für Pädagogik blieb bis in seine späten Jahre lebendig und seine pädagogischen Prinzipien prägen den Musikunterricht bis heute.

Das lebhafte Interesse für die Musik seines Landes, vornehmlich den Gesang, beeinflusste aber auch sein kompositorisches Schaffen. Für Zoltán Kodály war Volksmusik sehr viel mehr als Inspiration, es war die Wurzel, auf der die Musik überhaupt wachsen konnte. Bezeichnender Weise schrieb Bartók über seinen Kollegen: „Wenn jemand mich fragen würde, wer einer Verkörperung des ungarischen Geistes am nächsten kommt, so würde ich antworten, Kodály. Seine Werke beweisen seinen Glauben an den ungarischen Geist. Sein Komponieren wurzelt allein in der ungarischen Erde.“

 

 

 

Kodaly und Bartók bei der gemeinsamen Arbeit.

 

„Galánta ist ein kleiner ungarischer Marktflecken an der alten Bahnstrecke Wien–Budapest, wo der Verfasser 7 Jahre seiner Kindheit verbrachte. Damals wohnte dort eine berühmte Zigeunerkapelle, die dem Kinde den ersten ‚Orchesterklang’ einprägte. Um 1800 erschienen in Wien einige Hefte ungarischer Tänze, darunter eines ‚von verschiedenen Zigeunern aus Galántha’. Jenen Heften entstammen die Hauptmotive dieses Werkes.“ (Zoltán Kodály im Vorwort zur Erstausgabe)

Galánta, das auf dem Gebiet der heutigen Slowakei liegt, ist ein Ort im Donautiefland. Zu Zeiten von Kodálys Kindheit lebte dort der Violinvirtuose und Roma János Mihók mit seiner Kapelle, die einen großen Eindruck auf den Jungen machten. 1905 kehrte Kodály nach Galánta zurück und sammelte und transkribierte 150 Melodien der Region. Diese eigene Sammlung und ein altes Album mit ungarischen Volksweisen lieferten das Grundmaterial für die „Tänze aus Galánta“.

Im Vergleich zu anderen Orchesterwerken der 30er Jahre, setzt Kodály das Orchester in den „Tänzen aus Galánta“ mit einer meist klassisch reduzierten, durchsichtigen Orchestrierung und leichten und beweglichen Klangfarben ein. Er überträgt damit den Klangeindruck einer „Banda“ (Kapelle) auf großes Sinfonieorchester. Das Stück selbst besteht aus verschiedenen Abschnitten, bei denen wie im traditionellen, akrobatischen Rekrutierungstanz „Verbunkos“ auch, auf langsame, gesangliche Abschnitte, schnelle, temperamentvolle folgen. Der singende Beginn in der Cello-Stimme (und nicht in der traditionellen Klarinette) könnte auf den Teil der Kindheitserinnerungen Kodálys verweisen, als sich selbst das Cellospielen beibrachte. Die anschließenden 32tel-Läufe erinnern an das Spiel einer Zymbel, die sich mit den sehnsuchtsvollen Melodien verschiedener Soloinstrumente abwechselt. Der doppelpunktierte, scharfe Rhythmus der temperamentvollen Abschnitte, die Synkopen entlehnt Kodály ebenso der ungarischen Volksmusik wie die Sehnsucht ausdrückenden Portamenti (Schleifer) der Streicher. Auch der unmittelbare und mitreißende Schwung der schnellen Tanzabschnitte ließ das Werk zu einem der beliebtesten Konzertstücke werden.



Die „Tänze aus Galánta“ entstanden anlässlich des 80jährigen Jubiläums des Budapester Philharmonischen Orchester wurden am 23. Oktober 1933 unter Leitung von Ernst von Dohnány uraufgeführt. Bereits ein Jahr später wurden sie auf LP.

 
LP mit der ersten Aufnahme der „Tänze aus Galánta“ aus dem Jahr 1934.

Aram Khatschaturjan (1903–1978)

Konzert-Rhapsodie für Violoncello und Orchester d-Moll
(1963)

 

 

Aram Khatschaturjan (1903–1978)

Konzert-Rhapsodie für
Violoncello und Orchester d-Moll (1963)

  


 

 

Armenier und sowjetischer Patriot:

Der Komponist Aram Khatschaturjan in den 60er Jahren.

Fotografie von Roger Pic - Bibliothèque nationale de France

 

Aram Khatschaturjan wurde 1903 in der Hauptstadt des Kaukasus, Tiflis, als Sohn einer armenischen Buchbinderfamilie geboren und wuchs im armenischen Viertel auf. Seine Heimatstadt nahm er als sehr musikalisch wahr und sog die Melodien und Rhythmen der Volksmusik in sich auf. Später erinnerte er sich: „Jedermann sang… jeder Händler hatte eine besondere eigene Melodie, ein einprägsames Motiv, das ich nicht vergessen werde. Wenn der Abend hereinbrach, erklangen in den Höfen Lieder und Tänze, mal fröhlich und sorglos, mal zärtlich und weich.“ Diese frühen musikalischen Eindrücke prägten ihn sehr und bildeten später eine wichtige Komponente in seinem persönlichen Kompositionsstil. 1921 ging er mit einem älteren Bruder nach Moskau und studierte dort Violoncello und Komposition. Gleich mit seiner ersten Sinfonie erlebt er 1934 seinen Durchbruch als Komponist und gehörte bald zusammen mit Prokofjew und Schostakowitsch zu den bedeutendsten sowjetischen Komponisten.

 

 

 

Sergej Prokofjew, Dmitri Schostakowitsch, Aram Khatschaturjan

 

Er war derjenige der drei Komponisten, der sich dem sowjetischen Staat am nächsten fühlte und seine eher intuitive, das große Orchester bevorzugende Musik, die durch den Einfluss kaukasischer Volksmusik geprägt wurde, passte auch lange Zeit in die vorherrschende Ästhetik. Dann jedoch geriet auch Khatschaturjan in die Aufmerksamkeit der Kulturbehörde, die auch ihm „Formalismus“ vorwarf, obwohl auch er mehrfach mit staatlichen Preisen ausgezeichnet wurde. Die zweite Rüge im Jahr 1948 traf ihn sehr hart, denn man bezeichnete ihn als „Volksfeind“. In der Folge verlor er sämtliche Ämter und wurde zur „Umerziehung“ nach Armenien geschickt. Eine ernsthafte Schaffenskrise, die einige Jahre andauerte und die er erst mit seinem Ballett „Spartacus“ überwinden konnte, war die Folge. Nach Stalins Tod äußerte er sich hinsichtlich der ästhetischen Vorgaben durch die Politik sehr kritisch: „Man muss sich entschieden lossagen von der schlechten Praxis der Einmischung in den Schaffensprozess des Komponisten seitens der Mitarbeiter musikalischer Verwaltungsstellen.“ In den Folgejahren war er oft als musikalischer Botschafter des sowjetischen Staates auf internationalen Konzertreisen unterwegs.

Aram Khatschaturjan schrieb mehrfach Trilogien von Solowerken. Das gilt sowohl für seine Solokonzerte für Klavier, Violine und Violoncello wie für seine Solosonaten oder die Rhapsodien. Für sie, die drei Konzert-Rhapsodien für Klavier, Violine und Violoncello, wurde Khatschaturjan 1971 mit dem Staatspreis der UDSSR ausgezeichnet.

Die Konzert-Rhapsodie für Violoncello und Orchester entstand als letzte dieses Zyklus im Jahr 1963 und wurde 1964 von Mstislav Rostropovitch und dem Philharmonischen Orchester Gorki unter Leitung von Israil Gusma uraufgeführt. Später leitete der Khatschaturjan auch selbst mit Rostropovitch als Solist Aufführungen der Konzert-Rhapsodie.

 

Sie zeichnet sich aus durch ein eher frei fließendes, an Improvisation erinnerndes Zusammenspiel von Soloinstrument und Orchester. Der Solopart ist äußerst virtuos und sehr dynamisch gehalten. In der fesselnden Einleitung zu Beginn wird bereits das wichtigste thematische Material des Stückes vorgestellt. Wie so oft in den Kompositionen von Aram Khatschaturjan ist die Musik sehr bewegt und vorwärtsdrängend. Der Orchesterpart zeigt Khatschaturjans Geschick für effektvolle und auch differenzierte Instrumentierung.

 

Aram Khatschatujan dirigiert
die Konzert-Rhapsodie mit Mstislav Rostropovitch als Solist.

Mehr HIER.

 

Dmitri Schostakowitsch (1906-1975)

Sinfonie Nr. 9 Es-Dur op. 70
(1945)

 Dmitri Schostakowitsch (1906-1975)

Sinfonie Nr. 9 Es-Dur op. 70 (1945)

 

Allegro


Moderato


Presto


Largo


Allegretto

 

 

Dmitri Schostakowitsch 1950

 

„Die meisten meiner Sinfonien sind Grabdenkmäler,“ resümierte Dmitri Schostakowitsch in seinen Memoiren. Bei seiner „Neunten“ haben sich so manche über den heiteren Charakter des Werkes gewundert. Heroisches wurde erwartet. Stattdessen präsentierte der Komponist einen scheinbar unbeschwerten Rückgriff auf die Wiener Klassik.

Direkt nach Kriegsende, im Sommer 1945, schrieb Dmiti Schostakowitsch seine 9. Sinfonie. Mit großen Erwartungen vor allem der politischen Elite war die Ankündigung einer neuen Sinfonie des Stalin-Preisträgers verbunden. „Alle Welt umjubelte Stalin und nun wurde ich in diesen unheiligen Reigen einbezogen.“ In seinen Memoiren wies der Komponist auf den Dauerkonflikt zwischen Repression, Berufsverbot oder Schlimmerem und innerer Überzeugung hin. Schostakowitsch versuchte immer wieder einen Weg zu finden, sich selbst nicht untreu zu werden, aber doch weiter seiner kompositorischen Arbeit nachgehen zu können, – ein Konflikt, der kaum zu lösen war, erst recht nicht in der mit Erwartungen aufgeladenen Situation. „Ich versuchte zu lügen, und das wandte sich gegen mich.“

Eine Musik, die den Sieg Russlands feierte. So lautete der Auftrag. Schostakowitsch wählte dafür auch erwartungsgemäß die heroische Tonart Es-Dur und eine große Orchesterbesetzung. Aber, die Musik verweigert sich der emotional aufgeladenen Heldenverehrung und greift auf die Sprache der als „nüchtern“ geltenden Wiener Klassik zurück. Und: sie ist voller „Störtöne“: Schnell wird zu Beginn der Sinfonie schon klar, dass die „heroische“ Tonart immer wieder durch das dunklere c-Moll eingefärbt wird. Auf eine äußerst pompöse Einleitung des Seitenthemas, ein Marschthema, folgt ein klanglich sehr dürftig besetzter Anklang an eine Militärkapelle, deren tragende Instrumente fehlen. Die oberflächliche Heiterkeit der musikalischen Sprache ist bei genauerem Hinsehen und -hören ein bitter-sarkastischer Kommentar des Zeitgeschehens. Den zweiten Satz lässt Schostakowitsch in der Trauertonart h-Moll und einem sparsam begleiteten Klagegesang auf die Bühne treten. Diese Traueratmosphäre wird im vierten Satz, der als Einleitung des großen Finales angelegt ist, wieder aufgegriffen. Dazwischen drängt sich in einer überkippenden, an Zirkusatmosphäre erinnernden Geschäftigkeit, der dritte Satz mit seiner hektischen Motorik. Der fünfte und letzte Satz scheint auf den ersten Blick endlich die ersehnte erleichterte Heiterkeit zu verbreiten. Allerdings zitiert Schostakowitsch hier indirekt als Hauptthema eine vorrevolutionäre Polka. Er ummantelt sie mit einer Harmonik, die der Feierlaune einen bitteren Beigeschmack verleiht. Auch dem marschähnlichen zweiten Thema fehlt in seiner chromatisch im Tritonusrahmen abfallenden Gestalt jegliches Militärische. (Der Tritonus galt in der Musik des Mittelalters als „diabolisches“, später als „Unheil verkündendes“ Intervall und wurde, da „verboten“ nur sehr gezielt und sparsam eingesetzt.)

 

 

 

Aussagekräftige Fotomontage einer Siegergeste: 1945, ein russischer Soldat hisst die sowjetische Flagge am Reichstag in Berlin.